MATERNITAS VESTIMENTUM
STILL UND SCHWANGERSCHAFTSKLEIDUNG – EIN PRAXISBERICHT
Als ich wusste, dass wir ein Sommerkind bekommen, grübelte ich darüber, was ich mit dem dicken Schwangerschaftsbauch auf unseren Veranstaltungen tragen könnte. Es war mir schnell klar, dass ein neues Kleid her musste, mit dem ich durch die Schwangerschaft kommen würde, egal mit welchem Bauchumfang.
Als Grundschnitt für meine einfachen Kleider, nehme ich meist diesen hier (Kleid der Eisabeth von Thüringen).
Jedoch wollte ich diesmal beachten, dass „vorneherum“ mehr Volumen vorhanden sein würde als hinten. Also habe ich den Schnitt so erstellt, dass die Vorderseite ein Stückchen länger war als die Rückseite. Insgesamt habe ich das Kleid auch etwas länger gelassen als bei der ersten Anprobe (im ca 4. Monat) da durch den, erwartungsgemäß wachsenden Bauch, das Ganze noch ein Stück hochrutschen würde.
Um noch ein wenig mehr Platz auf der Vorderseite zu haben, wurden zusätzlich zu den Seitengeren auch vorne und hinten Geren eingesetzt. Vorne genau dort, wo der Bauch beginnen würde, also ein kleines Stück unter der Brust. Also ähnlich wie hier jedoch etwas höher angesetzt.
Mit diesem Schnitt bin ich dann auch gut durch die Schwangerschaft gekommen. Links ein Bild, als ich im 6. Monat schwanger war.
Da ich jedoch auch in der Schwangerschaft die Finger nicht vom Färbetopf lassen konnte, habe ich versucht mein altes Arbeitskleid anzuziehen.
Es war zwar etwas kürzer, aber passte durchaus über den Bauch und war somit ebenfalls schwangerschaftsgeeignet.
Es ist relativ weit geschnitten, hat aber nur zwei Geren an der Seite, die direkt unter den Armen eingesetzt wurden.
Eigentlich war es als bequemes Arbeitskleid gedacht, oder auch, um als Kälteschutz über ein anderes Kleid getragen zu werden.
Aus dieser Erfahrung heraus ergab sich die Frage danach, ob es im
13. Jahrhundert überhaupt spezielle Schwangerschaftskleidung gab.
Ich könnte mir vorstellen, dass es nicht so war.
Der historische Schnitt einer Cotte lässt, mit entsprechender Weite, auch einen sehr voluminösen Babybauch zu. Ein „besonderer Schnitt“ ist für einen dicken Bauch nicht wirklich nötig.
Für die Stillzeit habe ich mir die Kleiderfrage dann jedoch etwas problematischer vorgestellt.
Da für eine Darstellung im 13. Jahrhundert ein geschnürtes Oberkleid nicht in Frage kommt, musste eine andere Lösung her. Wie sollte es nur funktionieren, wenn man das Oberteil weder hinunter ziehen, noch aufmachen kann?
Funde zur Stillkleidung sind mir keine bekannt, Abbildungen hierzu leider recht spärlich und lassen nicht wirklich erkennen wie die Kleider geschnitten wurden.
Als Beispiel hier eine Abbildung aus dem Liber at Honorem Augusti ( 12. Jhdt. )
Liber at Honorem Augusti
Es scheint, als hätte die Dame mittig einen Querschlitz im Kleid. Da mir solche Schlitze im geschlossenen Zustand jedoch noch auf keiner anderen Abbildung aufgefallen sind, war mir das eine Bild für meine eigene Darstellung zu wage.
Eine Abbildung aus dem 13. Jhdt. *, auf dem man ebenfalls eine stillende Frau sieht, erschien mir sinnvoller. Jedoch scheint dies „nur“ das Unterkleid zu sein.
Psalter, Östereich
cod. 1898; fol. 179v
1295-1300
Anhand dieser Abbildung habe ich dann mein altes Unterkleid mittig ca. 30 cm geschlitzt. Damit es unter der Kleidung nicht hin und her rutscht, habe ich zwei Bändchen an die oberen Enden genäht und damit zugeknotet.
Mein Oberkleid wollte ich nun nicht so weit schlitzen, auch wenn mir der Gedanke bei einer Abbildung aus derMaciejowski-Bibel kam.
Die hier dargestellte Amme hat doch einen deutlichen Schlitz am Ausschnitt…..jedoch war auch dies alleine mir zu wage.
Eine weitere Theorie ist das Schlupfärmelkleid. Es ist in der Achsel ja offen, damit man bei Bedarf die Ärmel an bzw. aus ziehen kann. Hier muss keine zusätzliche Öffnung geschaffen werden. Bei einem recht weiten Ausschnitt, kann man somit den Schlitz des Unterkleides zum stillen erreichen. Ich stellte es mir jedoch etwas kompliziert vor, das ganze nur von der Seite anzugehen.
Also habe ich die Entscheidung heraus gezögert bis es so weit war, und bin dann ganz pragmatisch bei der Variante des „Schwangerschaftskleides“ geblieben. Da das Kleid weit genug war meinen Baby-Bauch zu umfassen, ist auch jetzt genug Spielraum, es zum Stillen bei Seite zu schieben. Das Ganze hat auch nach kurzer Zeit, mit ein wenig Übung, ganz gut, einfach und schnell funktioniert. Sogar mit einem ungeduldigen, hungrigen Baby
Hier Bilder vom hochgezogenen Oberkleid und dem geöffneten Unterkleid beim stillen auf einer Veranstaltung:
So war ich nie wirklich „bloßgestellt“ da ich ja noch das Unterkleid trug, und das Oberkleid den Teil des geöffneten Unterkleides bedeckte den ich bedecken wollte.
Das Fazit meiner Suche nach Belegen und der letztendlich umgesetzten Lösung ist, dass für die Darstellung im 13. Jhdt. weder ein besonderes Schwangerschaftskleid, noch ein besonderes Stillkleid benötigt wird. Lediglich das Unterkleid hatte ich geschlitzt.
Nun wo ich abgestillt habe, habe ich den Schlitz wieder zugenäht und es ist wieder mein normales einfaches Unterkleid. Ich bin der Meinung, wir sind heut zutage zu sehr geprägt von modernen Bequemlichkeiten, und können uns schwer vorstellen, keine besondere Kleidung für besondere Anlässe zu besitzen.
Es ist so einfach und so praktisch. Vielleicht haben es die Frauen, die sicherlich öfter in besonderen Umständen waren als wir heutzutage, genauso gehandhabt? Ich weiß es nicht, aber ich kann diese Lösung als praktisch erprobt und bestanden empfehlen.
Artikel von: ©Manuela Helzer 2013
Quellenangaben der Abbildungen: *Imareal Online, Kunstwerk: Buchmalerei ; Illustrationszyklus Psalter ; Miniatur ; Ostmitteleuropa Dokumentation: 1265 ; 1275 ; Wien ; Österreich ; Wien ; Österreichische Nationalbibliothek ; cod. 1898 ; fol. 179r ; Liber ad honorem Augusti, ; Maciejowski-Bibel
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